Ultra Tour Monte Rosa 2017 von Thomas Herget
Der etwas andere Lauf: 170 km, 12000 Höhenmeter, 58 Stunden non-stop
Thomas Herget meistert den Ultra Tour Monte Rosa 170K
Das Monte Rosa Massiv ist eine Ikone in den Alpen. Ein anspruchsvoller Ultra Trail zwischen Matterhorn (4478 m) und Dufourspitze (4634 m) bietet sich daher förmlich an. Die Trail Legende Lizzy Hawker hat sich persönlich dieser Vision angenommen und 2015 den „Ultra Tour Monte Rosa“ (UTMR) ins Leben gerufen. Dieses Jahr stand - neben drei anderen Strecken - als neuer Höhepunkt das erste Mal auch eine non-stop Ultra Variante über 170km mit satten 12000 Höhenmetern auf dem Programm: die Vollumrundung des Monte Rosa Massivs. Eine Herausforderung, die mich reizte und den Saisonhöhepunkt darstellen sollte.
Startvorbereitung
Bei der Ausgabe der Startunterlagen fällt auf, dass auch eine eingehende Materialkontrolle vorgenommen wird. Wasserfeste Jacke und Hose reichen beispielsweise nicht aus, sie müssen sogar wasserdicht sein. Genauso streng werden vom Veranstalter zwei Stirnlampen inklusive Ersatzbatterien gefordert, ansonsten gibt es keine Starterlaubnis. Außerdem wird geprüft, ob jeder der 125 Teilnehmer ein Handy mit einprogrammierter Nummer des Organisators für Notfälle mit sich trägt. Diese Maßnahmen lassen ahnen, dass dieser Lauf, für dessen Teilnahme man sich durch vorherige Ultra Läufe qualifizieren musste, kein Sonntagsausflug wird. Neben einem Zeitmess-Chip gibt es noch einen GPS Sender, so dass jeder Läufer in real-time im Internet verfolgt werden kann. Vier gelbe Beutel, die dann zu bestimmen Check Points transportiert werden, füllt jeder Teilnehmer mit persönlichen Utensilien wie Gelen und Wechselkleidung.
Der lange Weg
Start ist am Donnerstag (07.09.2017) um vier Uhr morgens bei kühlen Temperaturen in Grächen. Mit einem Laufkollegen aus Wuppertal, Marcus Weber, nehme ich die Herausforderung an. Mein „bescheidener“ Vorsatz für diesen Lauf lautet: in der erlaubten Zeit von max 60 Stunden wieder in Grächen ins Ziel zu kommen.
Die Bedingungen am ersten Tag sind sehr gut und so laufen wir auf den 37 Kilometer nach Zermatt einen Zeitpuffer von 4 Stunden heraus. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns bereits am Ende des Feldes. Die meisten Läufer scheinen sehr motiviert zu sein und starten mit einem extrem hohen, für manche zu hohen Tempo.
Hinter Zermatt verläuft der Weg über die Gletscher des Skigebiets „Trockener Steg“. So schön dieses Gebiet auch im Winter aussieht, so erschreckend präsentiert es sich uns nun im Sommer: überall liegt weggeworfener oder verlorener Müll wie Plastikflaschen oder Metalldosen herum, vom Bau neuer Lift- und Gondelanlagen ist die Luft lärmerfüllt, und Planierraupen legen neue Wege für die Skifahrer an. Wir sind froh, dass wir diesen Teil abends verlassen und in entlegenere Gebiete vordringen. Die Gletscher auf der Südseite des Monte Rosa Massivs bieten nun bei Sonnenuntergang grandiose Farbspiele, die uns für einen Moment die Anstrengungen vergessen lassen.
In der Nacht wird es kalt und Nebel zieht auf. Wir geraten sogar in einen Schneesturm und sind froh über unsere Pflichtausrüstung und ziehen alles an, was wir dabeihaben. Leicht unterkühlt erreichen wir dann die Refugio Ferraro Hütte (km 67). Es gibt auf der gesamten Strecke insgesamt 14 Check-Points. Leider bieten die meistens nur Tee, Wasser, Kekse, Chips und Schokolade an. In der Refugio-Hütte bekommen wir jedoch Weißbrot, Käse, geräuchertes Fleisch, Nüsse und Kaffee geboten; eine willkommene Abwechslung, die uns wieder Kraft für den nächsten Anstieg gibt. Jetzt geht es nämlich auf schwierigen Trails hinauf zum Saleroforko Pass (2.689m). Eindrucksvolle Felswege begleiten uns auch auf dem Weg hinunter nach Gressoney. Die Felsen im Licht der Stirnlampen verleihen diesem Streckenabschnitt einen noch abenteuerlicheren, beinahe unheimlichen Charakter. In Gressoney (km 79) machen wir eine 2-stündige Pause, um zu essen und zu trinken, unser Material zu richten, Batterien der Lampen zu tauschen, frische Socken und Wäsche aus den vorgeschickten Beuteln anzuziehen. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Ich versorge eine Blutblase. Etwas Zeit zum Ausruhen bleibt auch noch. Wir sind jetzt 24 Stunden unterwegs und Erschöpfung macht sich deutlich bemerkbar. Einige Mitstreiter geben auf und wollen nur noch schlafen.
Noch fast 100 Kilometer
Vom malerischen Dörfchen Gressoney geht es hinauf auf den Pass di Salati, nach Alagna (km 100) und schließlich nach Macugnaga (km 125). Leider sehen wir von der herrlichen Landschaft nur wenig, denn das Wetter wird immer schlechter und es regnet in Strömen. Immerhin ist der Checkpoint #11 in Macugnaga eine Pizzeria. Wir können uns aufwärmen, trockene Sachen anziehen und bekommen Pasta und Minestrone angeboten. Mit einem Espresso zum Abschluss nehmen wir den nächsten Abschnitt gestärkt und gut gelaunt in Angriff und stürmen in die zweite Nacht. Die „stairway to heaven“ am Monte Moro Pass erwartet uns. Dieser Abschnitt ist sicherlich einer der herausforderndsten. Der Nebel ist jetzt so dicht, dass wir die Markierungen (orange Bändchen mit Reflektoren) nur mit großer Mühe identifizieren können. Es gibt keinen eindeutigen Weg über die Geröllhalden und wir verpassen fast einen Checkpoint. Schließlich erreichen wir nach einigem Suchen den Grenzübergang in die Schweiz über die „stairway to heaven“: horizontale Holzstämme, die auf einer steilen Felsplatte befestigt sind, dienen als Halt für die Schuhe. Ohne die zusätzliche Eisenkette zum Festhalten ist der Aufstieg bei dem Sturm nicht zu schaffen. Die Statue der „Goldenen Maria“, die auf der Pass-Höhe (Monte Moro) steht, sehen wir wegen der Dunkelheit und des Nebels leider nur schemenhaft. Danach geht es im Zickzack über Felsplatten und eisige Schneefelder zum eigentlichen Weg, der uns hinunter zum Mattmark-Stausee führt. Wir sind froh, dieses schwierige Stück unbeschadet hinter uns lassen zu können. Außerdem wird es langsam hell - wir haben auch die zweite Nacht erfolgreich hinter uns gebracht! Da wir durch das Suchen und die schwierigen Wetterverhältnisse jedoch viel Zeit verloren haben, versuchen wir uns durch Laufen wieder einen Zeitpuffer zu schaffen und kommen schließlich am frühen Morgen in Saas Fee an (150 km).
Ziel voraus
Laut Streckenprofil haben wir jetzt das Ziel fast vor Augen: nur noch 20 km bis Grächen. Doch weit gefehlt, denn was nun kommt ist technisch anspruchsvoll und erfordert bei fortschreitender Müdigkeit höchste Konzentration. Außerdem spielt mir mein Gehirn Streiche: ich sehe jetzt häufig Bilder und höre Geräusche, die sich nach einiger Zeit als irreal herausstellen. Auch hier laufen wir wieder auf atemberaubenden Single Trails durch eine raue Landschaft. Oft müssen wir auf allen Vieren über Steinlawinen klettern, oder der „Weg“ ist gerade einmal einen halben Meter breit, wobei auf der einen Seite die steile Felswand und auf der anderen der tiefe Abgrund ist.
Bis zur Hannigalp (166 km) verlieren wir eine Stunde auf den berechneten Zeitplan. Hier beim letzten Checkpoint vor dem Ziel erwarten uns zu unserer großen Überraschung unsere Freunde, die mit uns zusammen nach Grächen laufen. Glücklich und hundemüde traben Marcus und ich ins Ziel, wo jeder Läufer von Lizzy Hawker persönlich empfangen wird. Mit Schal und Medaille belohnt liegen wir uns freudestrahlend in den Armen; wir haben es geschafft, ein unbeschreibliches Gefühl. Nach knapp 58 Stunden ist das Abenteuer UTMR über 170 Kilometer und 12000 Höhenmeter beendet. Diesen extremen Lauf werden wir noch lange in Erinnerung bleiben.
Resümee:
Ein absolut gelungener Ultra Trail mit atemberaubenden Aussichten, anspruchsvollen Trails auf schwierigen Untergründen. Die Steilheit, die mittlere Höhe von über 2000 Metern, die stundenlangen Anstiege auf bis zu 3300 Metern und die schroffe Natur sind jedoch nicht zu unterschätzen. Der UTMR 170K verlangen eine intensive körperliche und mentale Vorbereitung, Trittsicherheit in den Bergen und eine professionelle Ausrüstung. Das extreme Wetter mit Nebel, anhaltendem Regen und Schneefall haben die Komplexität noch einmal erhöht. Ein weiterer Grund, warum nur die Hälfte der Starter das Ziel erreicht. Der UTMR ist ein herausforderndes, brutales aber auch wunderbares Erlebnis.